Kauderwelsch: Die Sprache der Politiker (www.boox.bz) by Mainhard Graf Nayhauß
Autor:Mainhard Graf Nayhauß [Nayhauß, Mainhard Graf]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fachbücher, Medienwissenschaft, Politik & Geschichte, Politikwissenschaft, Geschwafel, Rumgerede, Dummdeutsch, Verarschung, Wunschliste
ISBN: 9783941118911
Herausgeber: Helmut Lingen Verlag
veröffentlicht: 2014-10-26T16:00:00+00:00
[*]* langweilig schwätzen
Roger Köppel
Kauderwelsch als Herrschaftsinstrument
Es war eine interessante Abendrunde in Berlin. Die Kanzlerin war gekommen, um ihre umstrittene Gesundheitsreform zu erklären. Ihr gegenüber saß die Elite der deutschen Publizistik, gestandene Chefredakteure, investigative Skeptiker und kritisch gestimmte Meinungsführer, die sich nicht mit dem üblichen Politgeschwurbel abspeisen lassen wollten. Die Kanzlerin wurde begleitet von ihrem Stab, darunter ein Regierungsberater, der sich arglos neben mich setzte. Die Kanzlerin hob an, die von ihren Leuten gezimmerte Reform den Anwesenden verständlich zu machen. Andächtiges Nicken, raunende Zustimmung im Saal, ich allerdings, immerhin Inhaber eines Philosophie-Abschlusses der Universität Zürich, auf den ich mir nicht viel einbilde, verstand kein Wort. Nach rund 45 Minuten, die sich wie zwei Stunden angefühlt hatten, gewährte die Kanzlerin eine kurze Pause. Ich wandte mich verschämt an meinen Sitznachbarn, den Regierungsberater, um ihm mein Leid zu beichten: „Entschuldigen Sie, aber ich habe kein Wort verstanden, können Sie mir die Reform erklären?“ Der Mann lachte entwaffnend und erwiderte: „Herr Köppel, machen Sie sich keine Sorgen, ich habe auch nichts verstanden, aber wir haben Experten, die wissen genau, worum’s geht.“
Obschon ich mir durchaus im Klaren bin, dass es auch an mir liegen kann, wenn ich den Ausführungen eines Politikers intellektuell nicht zu folgen vermag, handelt es sich bei der eben erzählten Anekdote um ein Schlüsselerlebnis, das uns die Gefahren von Politikerkauderwelsch vor Augen führt. Politiker tendieren, wenn man sie denn lässt, naturgemäß zur kalkulierten Unverständlichkeit. Sie sagen nichts oder sie sagen es so, dass man es nicht versteht, weil sie nicht verstanden werden wollen. Wer verstanden wird, hat etwas gesagt. Wer etwas gesagt hat, kann darauf behaftet werden. Wer behaftet wird, schränkt seine Handlungsmöglichkeiten ein und macht sich verantwortlich. Genau dies zu vermeiden, ist das naheliegende Ziel der meisten Politiker. Indem sie nichts oder indem sie etwas Unverständliches sagen, sichern sie sich einen größeren Spielraum, mehren sie ihre Macht. Das hochgestochen klingende Kauderwelsch der Politiker ist ein Herrschaftsinstrument, das intellektuelles Charisma produziert, die Bürger geistig einschüchtert und dem Politiker alle Optionen und Deutungsvarianten offenlässt. Wer nicht verstanden wird, kann vom Bürger nicht kontrolliert werden.
Wobei wir bei der Systemfrage wären: In repräsentativen Demokratien haben es die Politiker leichter. Sie müssen sich nur alle vier, fünf Jahre darum bemühen, von den Bürgern einigermaßen verstanden zu werden. Zu viel Unverständlichkeit schadet der Wählbarkeit wie umgekehrt zu viel Klarheit. In Wahlperioden allerdings ist es wichtig, dass Politiker wenigstens ein paar einprägsame Sätze in Form von Wahlversprechen absondern. Das Problem liegt darin, dass sie in repräsentativen Systemen nach der Wahl nicht mehr ausreichend durch ihre Wähler kontrolliert werden und sich dadurch leichterdings von ihren Wahlgelöbnissen lösen können. Über Nacht schlagen dann Steuersenkungsversprechen in Steuererhöhungen um, selbstverständlich wortreich, wenn auch unverständlich begründet, was keine Rolle spielt, weil die nächsten Wahlen ja erst wieder in ein paar Jahren stattfinden. Die repräsentative Demokratie verstärkt die Kauderwelschisierung der Politik, weil dem Bürger die Möglichkeit genommen wird, die Politiker auch nach der Wahl wirksam zu kontrollieren. Er kann sie, einmal gewählt, nicht mehr zurückpfeifen, sondern er muss ihnen, zwangsläufig, zuhören.
Das führt uns zu den Vorteilen der direkten Demokratie.
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